Interview zum Kinderschutzkonzept: Österreichischer Berufsverband für Musiktherapie (ÖBM)
„Es lohnt sich Worte zu finden, sich zu überlegen, wo Grenzen sind, wo sie überschritten werden, was der eigene Beitrag sein kann etc.! Kinder- und Jugendschutz ist ein Prozess, der aus unserer Erfahrung nie ganz abgeschlossen ist. Mit einer Kinderschutzrichtlinie hat man in diffusen, überfordernden Situationen zumindest eine Orientierungshilfe, an die man sich halten kann. Ein kleines Team zu bilden, sich regelmäßig zu treffen und sich Ziele zu setzen, hat sich für uns als sinnvoll erwiesen.“ - Kinderschutzteam des Österreichischen Berufsverbands für Musiktherapie
Der Österreichische Berufsverband für Musiktherapie (ÖBM), eine Kinderliga-Mitgliedsorganisation, vertritt die Interessen der in Österreich berufsberechtigten Musiktherapeut*innen. Im ÖBM sind über 350 ausgebildete Musiktherapeut*innen sowie weitere Personen wie Musiktherapiestudierende und an der Musiktherapie Interessierte, einschlägige Vereine und Institutionen organisiert.
2025 hat der ÖBM sein eigenes Kinderschutzkonzept veröffentlicht und die Kinderliga hat das Kinderschutzteam des ÖBM dazu interviewt. Dieses spannende Interview, das zweite in einer Reihe von Best-Practice-Beispielen zum Kinderschutz, wollen wir nun mit euch teilen!
Kinderliga: Mit der Veröffentlichung der ersten eigenen Kinderschutzrichtlinie des Österreichischen Berufsverbands für Musiktherapie (ÖBM) im Herbst 2023 hat der ÖBM für die Musiktherapie Pionierarbeit geleistet. Wie kam es zu dem Vorhaben als Berufsverband eine eigene Kinderschutzrichtlinie bzw. Leitlinie erarbeiten zu wollen?
ÖBM: Danke! Wir sind selbst sehr stolz auf das Ergebnis. Gleichzeitig ist es nach wie vor ein „work in progress“ und es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Wie kam es dazu? In unserer jährlichen Vorstandsklausur haben wir thematisiert, dass wir als anerkannter und gesetzlich geregelter Gesundheitsberuf noch keine schriftliche Stellungnahme zu Kinderschutz, Kinderrechten und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche abgegeben haben. Wir im Vorstand waren uns schnell einig, dass die Erstellung von Kinderschutzrichtlinien (KSR) eine hohe Priorität hat und wir diesbezüglich Verantwortung übernehmen wollen, Worte finden wollen und einen Beitrag zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen leisten wollen. Je mehr Institutionen, Vereine, Berufsverbände sensibilisieren, sich positionieren und Gewalt thematisieren desto besser. Es ist dann alles sehr flott gegangen. Wir haben eine Arbeitsgruppe von sehr engagierten Musiktherapeut*innen zusammen getrommelt, welche sich ein Jahr intensiv mit dem Thema befasst hat, und die erste Auflage der Kinderschutzrichtlinien ist zirka 1,5 Jahre nach dem Entschluss veröffentlicht worden.
Kinderliga: Wir vergleichen den Entstehungsprozess eines Kinderschutzkonzeptes oft mit einem Puzzle: Bis der letzte Stein richtig sitzt, hat man vieles ausprobiert. Welche Herausforderungen gab es im Zuge des Ausarbeitungsprozesses?
ÖBM: Der Vergleich mit einem Puzzle trifft den Nagel auf den Kopf.
Ein Puzzlestück war die Überlegung, wie die Arbeitsgruppe sinnvoll geleitet werden kann. Nachdem alle Personen der Arbeitsgruppe (und auch der Vorstand des ÖBM) sich ehrenamtlich eingebracht haben und teilweise neben beruflicher Verpflichtungen auch Kinder zu Hause haben, war es wichtig die vorhandenen Ressourcen effektiv zu nutzen. Gerd Veleba (vom Vorstand) hat zusätzlich zur inhaltlichen Arbeit letztlich einiges an struktureller und logistischer Arbeit übernommen und die anderen haben sich „nur“ auf die inhaltliche Arbeit fokussiert. Alles war ein „learning by doing“ und hat sich mehr oder weniger im Prozess entwickelt.
Ein weiteres Puzzlestück bestand darin, den Sinn und Zweck von Kinderschutzrichtlinien zu verstehen. Wir haben verschiedene Kinderschutzrichtlinien von Vereinen durchgesehen. Diese Richtlinien haben unsrem kleinen Team eine Vorstellung gegeben, in welche Richtung es gehen könnte. Einen Dank hier, an die tollen Ergotherapie-Richtlinien!
Wer ist die Zielgruppe unserer KSR? Ist die KSR ausschließlich für selbstständige Musiktherapeut*innen gedacht, oder beziehen wir auch angestellte Musiktherapeut*innen ein? Wenn eine angestellte Musiktherapeutin von ihrem Arbeitgeber eine Kinderschutzrichtlinie erhält, auf welche Richtlinie kann bzw. soll sie sich dann stützen? Wen bitten wir um Unterstützung? Ein wesentlicher Punkt ist die Vernetzung mit jenen, die bereits viel Erfahrung mit Kinderschutzrichtlinien haben. Uns hat hier insbesondere die Kinderliga unterstützt. Herzlichen Dank nochmal an dieser Stelle!
Können wir eine Risikoanalyse durchführen, oder nicht?
Da wir als Berufsverband nicht direkt mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, unterscheidet sich unsere KSR deutlich von den Richtlinien von Sportvereinen, Schulen oder ähnlichen Einrichtungen.
Wie können wir die Vielschichtigkeit von Kinderschutz zeigen? Wie gelingt es uns für das Thema zu sensibilisieren und nicht zu moralisieren? Und wie gelingt es den musiktherapeutischen Alltag zu veranschaulichen? Wir haben uns entschieden diese Aspekte anhand von Fallvignetten fassbarer zu machen. Diese sind unserer Ansicht nach ein ganz wesentlicher Bestandteil und vielleicht sogar das Herzstück unserer KSR.
Abschließend ging es natürlich auch um Layout, Korrekturlesen, die KSR in Druck zu bringen und sie verfügbar zu machen.
Und natürlich – wie geht es nach der Veröffentlichung der KSR weiter. Wir haben nun ein Kinderschutzteam im ÖBM, an das sich die Mitglieder jeder Zeit wenden können. Wir versuchen uns weiterzubilden (z.B. Basiskurs im September) und auszutauschen (z.B. im Rahmen unseres Jour Fixe). Etc.
Kinderliga: Die Leitlinie des ÖBM dient in erster Linie als Informationsquelle für Musiktherapeut:innen. Welche Möglichkeiten bietet die Kinderschutzrichtlinie für den Berufsverband und die Mitglieder?
ÖBM: Die Kinderschutzrichtlinie des ÖBM bietet dem Berufsverband und seinen Mitgliedern mehrere wertvolle Möglichkeiten. Um Unterstützung zu gewährleisten, haben wir eine Kinderschutz-E-Mail-Adresse eingerichtet, die für alle Fragen zur Verfügung steht. Es gibt seitdem im Berufsverband ein kleines Kinderschutz – Team. Es freut uns richtig, dass wir als Berufsverband den ersten Basiskurs zum Thema Kinderschutz in unser Fortbildungsangebot im September 2025 anbieten.
Diese Kinderschutzrichtlinien dienen nicht nur als niederschwellige Informationsquelle für die Mitglieder, sondern tragen auch dazu bei, die Identität der Musiktherapeut*innen zu stärken und den Verband als solchen besser zu positionieren.
Kinderliga: Seit der Veröffentlichung sind ca. 1,5 Jahre vergangen und daher sind wir neugierig: Können bereits (positive oder negative) Auswirkungen wahrgenommen werden?
ÖBM: Wir haben von unseren Mitgliedern überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. Es vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, zu wissen, wo ich im Falle eines Falles schnell Informationen nachschlagen kann. Die Ausarbeitung der Kinderschutzrichtlinien hat intern ein erhöhtes Bewusstsein für dieses Thema gefördert, vor allem im Vorstand.
Kinderliga: Kinderschutzrichtlinien kann man nicht nur lesen, man erlebt sie auch … Wird die Kinderschutzrichtlinie von den Mitgliedern als Unterstützung im Berufsalltag wahrgenommen?
ÖBM: Die Rückmeldungen, die uns erreichen, sind durchaus positiv. Wir haben jedoch häufig keinen Einblick in den Berufsalltag der einzelnen Mitglieder. Als Berufsverband machen jedenfalls regelmäßig auf die KSR aufmerksam und bemühen uns eine Awareness zu schaffen, um präventiv und Anlass bezogen zu unterstützen.
Kinderliga: Was möchte der ÖBM anderen Organisationen für die Erstellung ihrer Kinderschutzrichtlinie mit auf den Weg geben?
ÖBM: Es lohnt sich Worte zu finden, sich zu überlegen, wo Grenzen sind, wo sie überschritten werden, was der eigene Beitrag sein kann etc.! Kinder- und Jugendschutz ist ein Prozess, der aus unserer Erfahrung nie ganz abgeschlossen ist. Mit KSR hat man in diffusen, überfordernden Situationen zumindest eine Orientierungshilfe, an die man sich halten kann. Ein kleines Team zu bilden, sich regelmäßig zu treffen und sich Ziele zu setzen, hat sich für uns als sinnvoll erwiesen.
Website ÖBM
Link zum Kinderschutzkonzept
Fotos: © ÖBM
Zum Weiterlesen: Interview zum Kinderschutzkonzept mit Grow Together
Dieses Interview ist Teil eines durch das Bundeskanzleramt (Kinderschutz und Gewaltprävention) geförderten Projekts.