Chronische und seltene Erkrankungen
In Österreich leiden heute rund 400.000 Menschen an einer der etwa 8.000 Seltenen Erkrankungen - mehr als die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen rd. 190.000 mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Asthma, Rheuma oder etwa Epilepsie, die ihren Alltag in Schule und Familie nur teilweise allein bewerkstelligen können. Rechnet man das familiäre Umfeld zu den rd. 400.000 betroffenen Kinder und Jugendlichen dazu, sind fast 1 Mio. Menschen mit diesen Krankheiten und pflegerischen Herausforderungen konfrontiert. Bis zur Entdeckung und der richtigen Diagnose ist es oft ein langer und mühevoller Weg. Das Leben mit einer seltenen, chronischen Erkrankung hält viele Herausforderungen bereit.
Wieviele Kinder/Jugendliche leiden an einer chronischen Erkrankung?
Die österreichische HBSC-Studie (Health Behaviour of Schoolaged Children) aus 2010 erhebt bei den Jugendlichen durchschnittlich 16,8%, die eine vom Arzt diagnostizierte Erkrankung haben. Diese österreichischen Zahlen decken sich mit den Prävalenzzahlen in der internationalen Literatur, wie in den beiden folgenden Abbildungen erkennbar ist.
Einer konservativen Schätzung zufolge sind demnach etwa 197.000 Schulkinder von einer chronischen Erkrankung betroffen, die medizinisch meist sehr gut versorgt ist, weshalb ein Schulbesuch für diese Kinder oft überhaupt erst möglich ist. Dazu gehören allgemein bekannte Krankheiten wie Asthma, Diabetes oder Epilepsie ebenso wie beispielsweise das juvenile Rheuma, Cystische Fibrose oder Phenylketonurie, schwere Allergien oder auch seltene genetische Syndrome und Erkrankungen. Nicht zu vergessen sind die Kinder mit Erkrankungen, die technische Hilfsmittel wie Pumpen, Shunts usw. erforderlich machen, sowie Kinder, die eine Organ-Transplantation oder Krebserkrankung überstanden haben und Kinder mit behandlungsbedürftigen psychosozialen Problemen (MHAT-Studie 2017).
Welche Belastungen haben diese Kinder durch ihre Erkrankung?
Die große Heterogenität bedingt auch die Vielzahl an Beeinträchtigungen und Belastungen durch die Erkrankung und die unterschiedlichen Untersuchungs- sowie Behandlungsmöglichkeiten: regelmäßig notwendige Einnahme oder Verabreichung von Medikamenten, mehrmals tägliche biometrische Messungen, Inhalationen, das Tragen und Bedienen von lebensnotwendigen Pumpensystemen, die Einhaltung von teilweise restriktiven Diätvorschriften, häufig mehrfache operative Eingriffe, langjährige Chemotherapien, belastende Bestrahlungen, regelmäßige Nierenersatztherapien – um nur einige zu nennen.
Darüber hinaus bedeuten chronische Erkrankungen für das Kind/den Jugendlichen ein Leben mit:
- Nebenwirkungen, schmerzhaften Prozeduren, Angst, Krankenhausaufenthalten
- einem Fortschreiten der Krankheitsentwicklung
- Disziplin bei therapeutischen Maßnahmen
- existentiellen Aspekten wie Aussichtslosigkeit und Unveränderlichkeit
- Abhängigkeit
- schulischen und beruflichen Zukunftssorgen
- der Konfrontation mit Vorurteilen
- sozialen Risken bei Offenbarung bzw. Geheimhaltung der Erkrankung
- einer Sonderrolle in der Familie
- einer Beeinträchtigung des Selbstbildes und des Körperschemas
- einer Stigmatisierung durch sichtbare Symptome usw.
Wie gehen Kinder/Jugendliche damit um?
Erwachsene laufen häufig Gefahr, zu übersehen, was es bedeutet, eine chronische Erkrankung im Alltag gut zu managen. Das Selbstmanagement der Erkrankung – von klein auf „anders“ sein, „erwachsenes“ Fachwissen über die Erkrankung haben und dabei keine Fehler machen dürfen – bedeutet, in einem starren System ohne wesentlichen Verhandlungsspielraum funktionieren zu müssen. Bereits Kleinkinder bis hin zu den Jugendlichen im Pubertätsalter befinden sich in einem ständigen Balanceakt zwischen Einschränkungen durch Therapie und dadurch erforderliche Ausnahmeregelungen (z.B. im Schulalltag) und andererseits dem Wunsch nach Normalität, mit allem was dazu gehört; jedes Kind, jeder Jugendliche will eine möglichst unbelastete Kindheit und Jugend erleben, und ebenso wie Gesunde wahrgenommen und als wichtiges Mitglied der Gemeinschaft geschätzt und anerkannt werden.
Was benötigen Kinder/Jugendliche mit chronischer Erkrankung?
Nicht alle Kinder benötigen eine Unterstützung. Manchmal ist es nur wichtig, von der Erkrankung zu wissen und im Notfall richtig zu handeln. (Erste Hilfe bei Epilepsie-Anfall). Manche Kinder benötigen die Aufmerksamkeit eines Erwachsenen, der z.B. Zahlenwerte einer Insulinpumpe bei einem Schulanfänger überprüft, manche Kinder z.B. mit ADHS benötigen sonderpädagogisches Know-How, manche nur eine gewisse Rücksicht durch PädagogInnen, damit die Kinder ihre Erkrankung selbst gut managen können (z.B. in der Pausengestaltung).
Einige Kinder benötigen einfache, aber manche auch anspruchsvolle pflegerische Hilfeleistungen für ihren schulischen Alltag. Konkrete Zahlen für den Unterstützungsbedarf an Schulen und Kindergärten gibt es österreichweit nicht.
Welche Gesetze haben im Umgang mit Kindern/Jugendlichen mit chronischer Erkrankung Bedeutung?
Eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen in Österreich und nicht zuletzt der UN-Kinderrechtskonvention sind zwar vorhanden, werden aber in vielen konkreten Fällen umgangen, verletzt oder gebrochen.
- des 4. Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern aus 2011
- des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes (Diskriminierungsverbot)
- des Art.7 des Bundes-Verfassungsgesetzes (Gleichstellung aller Bürger)
- Mangelhafte Umsetzung des Bildungs-Reformgesetzes 2017 und des Rundschreibens 20-2017
Weiters sind die UN-Kinderrechts-Konvention aus 1989, die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen und andere internationale Vereinbarungen wie die Deklaration für Child-Friendly Health Care (CFHC), die Österreich 2011 unterzeichnet hat, zu berücksichtigen.
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Vortrag Kinderliga 01/2022 für die Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig https://www.phsalzburg.at/